Eigenmacht statt Ohnmacht – Farbakzente setzen
Haben Sie vielleicht heute Morgen beim Aufwachen etwas ähnliches gedacht wie «ich würde so gerne länger schlafen aber ich muss aufstehen und arbeiten. Phuu und zum Zahnarzt muss ich heute auch noch, dabei habe ich überhaupt keine Lust. Zudem kommt die Schwiegermutter heute Abend vorbei und ich muss etwas kochen.» Die Liste ist manchmal lang und solche «Ich-muss-Sätze» verfolgen uns im Alltag permanent. Man könnte den Eindruck gewinnen, wir Menschen sind fremdgesteuert, bei all dem, was wir zu müssen glauben. Das Gefühl, das dabei entsteht, ist die Ohnmacht. Und dieses Gefühl hat zur Folge, dass wir uns dem Leben ausgeliefert fühlen, so als ob wir keinen Handlungsspielraum hätten. Doch das Wichtigste schon mal vorneweg: Es ist gar nicht so schwer, in die Handlungsfähigkeit zu kommen, Dinge anders zu tun oder zumindest die Sichtweise oder Einstellung dazu zu ändern.
Das Gefühl der Ohnmacht kennen wir nicht nur in lebensbedrohlichen Situationen. In der westlichen Welt gilt es, ständige Kontrolle über unser Leben zu haben und Leistung zu erbringen. Unsicherheiten wie der Klimawandel, die digitale Transformation, die stetige Globalisierung, ein drohender Arbeitsplatzverlust oder die aktuelle Situation rund um Covid-19 treffen uns daher im Innersten. Sie verunsichern und machen Angst, denn vieles scheint nicht mehr plan- und kontrollierbar. Und dann kommt unsere innere Stimme und schreit: «Taking back control!».
Der Ohnmachtsspeicher
Da kommt er ins Spiel: der fiese Ohnmachtsspeicher. Alles was wir erlebt haben, ist in unserem Gehirn, der Hardware, gespeichert. Besonders die Dinge, die uns als Kleinkind bedroht und geängstigt haben, als wir noch ohne Macht waren. Wir alle haben als Kinder wohl dieses Gefühl kennengelernt, wenn wir unsere Bedürfnisse noch nicht richtig ausdrücken, unseren Willen nicht durchsetzen konnten oder hilflos da standen — wir lernten demnach schon früh wie es sich anfühlt, «ausgeliefert» oder eben «ohnmächtig» zu sein.
Solche Ohnmachtssituationen aus der frühen Kindheit werden oftmals später panikartig wieder ausgelöst, wenn wir uns als Erwachsener der Situation nicht gewachsen fühlen. Alte Angst-Impulse kommen an die Oberfläche. Unser Ohnmachtsspeicher ist voller Erinnerungen an frühere Verletzungen und greift wieder auf diese zu. Sobald wir Ohnmacht verspüren, fallen wir oft in eine Opferrolle. So bleiben wir untätig und warten darauf, dass sich die Dinge zu unseren Gunsten ändern. «Du verstehst mich nicht, du nimmst keine Rücksicht auf mich, ich erhalte von dir keine Wertschätzung für meine geleistete Arbeit». Wir warten darauf, dass sich der andere in Zukunft so verhält, wie wir es uns wünschen. Auch wenn diese Haltung nachvollziehbar ist, da es Kraft und Mut kostet, sich selbst zu ändern, so verstärkt sie jedoch das Gefühl der Ohnmacht und Abhängigkeit. So verharren wir oft lieber in der Opferrolle und wählen den vermeintlich einfacheren Weg, bei dem wir unsere Komfortzone nicht verlassen müssen. Zusätzlich sind wir oftmals Meister darin, das Glück dort zu suchen, wo wir gerade nicht sind: «Am liebsten wäre ich…», «aber leider muss ich…». Die Idee, das Glück sei immer an dem Ort zu finden, an dem wir gerade nicht sind, führt auf die Dauer zu einer gedrückten Stimmung und ist ein Ausdruck von Ohnmacht. Damit wir nicht in unser frühkindliches Verhaltensmuster zurückfallen, brauchen wir Eigenmacht.
Mehr Eigenmacht erlangen
Eigenmacht bedeutet, dass wir Schöpfer unserer Gedanken und damit auch unseres Erlebens und Verhaltens sind. Wir warten nicht darauf, dass andere Menschen oder Situationen uns glücklich machen. Wie gelingt es uns nun, mehr Eigenmacht zu erlangen? Der erste Schritt ist, sich seiner Gedanken bewusst zu werden. Wie wir Situationen beurteilen und erleben wird massgeblich von unseren Gedanken beeinflusst.
Die Einsicht, dass ich im Leben nichts muss, sondern dass ich fast alles was ich tue «will», ist der schnellste Weg, um vom Opfer zum Gestalter und Macher zu werden. Wenn wir uns nämlich das am Anfang erwähnte Beispiel vom Zahnarzttermin etwas näher unter die Lupe nehmen, werden wir feststellen, dass wir höchstwahrscheinlich selbst den Termin vereinbart haben. Wir sind nicht masochistisch veranlagt, sondern wir möchten auch noch im hohen Alter feste Nahrung zu uns nehmen können. Wir müssen also nicht zum lästigen Zahnarzt, sondern wir wollen dorthin, da wir ein gewisses Ziel verfolgen. Alles im Leben hat seinen Preis. So auch jeder unserer täglichen Entscheidungen, was wir alles machen «müssen».
Zudem stellen wir auch immer wieder hohe Anforderung an uns selbst, alles im Griff haben zu müssen – was jedoch kaum zu erfüllen ist. Und dieser Anspruch hinterlässt oft das Gefühl, zu schwach, zu wenig organisiert, zu wenig gut etc. zu sein. Wir dürfen jedoch nicht das Gefühl haben, ständig alles kontrollieren zu müssen. Vielmehr ist es wichtig, sich bei Kontrollverlust durch alte Ängste und Erfahrungen nicht in eine Opferrolle drängen zu lassen. Versuchen, zu akzeptieren, was wir nicht ändern können und selbstbestimmt sowie mit einer positiven Grundhaltung weiterzugehen. Klingt simpel, ist aber nicht immer einfach im Alltag umzusetzen. In solchen Situationen kann die LCL-Methode helfen.
Die LCL-Methode
Damit wir uns in alltäglichen Situationen weniger unserem Ohnmachts-Gefühl ergeben und in die Opferrolle fallen, gibt es eine einfache Formel, die uns hilft, schwierige Situationen besser zu meistern. «LCL: love it, change it oder leave it». Die Methode ist ein Problemlösungskonzept, welches uns aus der inaktiven Opferrolle hinein in eine aktive Selbstverantwortung für unser Leben katapultiert. Wir nehmen damit unser Glück also sprichwörtlich selbst in die Hand.
Häufig suchen wir Probleme, wo eigentlich überhaupt keine sind. Wir vergessen, dankbar zu sein, und konzentrieren uns auf das Negative anstelle des Positiven. In einem ersten Schritt geht es also um die bewusste Auseinandersetzung mit dem «Ist». Wir können die gegebene Situation akzeptieren und unseren ehrlichen Frieden damit machen. Dabei legen wir den Fokus auf die positiven Seiten der aktuellen Situation und ärgern uns nicht über die Dinge, die wir nicht ändern können (love it). Was können wir daraus lernen und bringt uns weiter? Wofür können wir dankbar sein? Was bringt die Situation für positive Aspekte mit sich?
Wir haben aber auch die Möglichkeit, Dinge zu verändern. Damit verbunden sind ernsthafte Anstrengungen, um die untragbare Situation im eigenen positiven Sinne zu gestalten (change it). Was genau stört uns an der Situation? Was wäre notwendig, damit wir die Situation akzeptieren lernen können – oder sie uns zumindest gleichgültig wird? Inwiefern zieht dies Änderungen an uns selbst nach? Welche Veränderungen wären im Aussen notwendig und sind diese realistisch?
Feste aber realistische Fristen setzen, bis wann wir die ersten positiven Veränderungen umsetzen möchten, sind essenziell. Stellen Akzeptanz und Veränderung keine tragbaren Möglichkeiten dar, haben wir die Alternative etwas zu beenden (leave it). Das braucht Mut und manchmal auch Unterstützung von einem guten sozialen Umfeld, welches uns immer wieder ermutigt, wenn der eigene Mut uns mal wieder fehlt. Niemand wird uns diese Entscheidung abnehmen, aber viele können uns auf dem Weg zum Neuen begleiten. Wir können den alten Pfad verlassen und neue Wege beschreiten.
An jeder Entscheidung, also dem Annehmen (Bewusstwerden), Ablehnen (Loslassen) oder neu definieren (in die Selbstverantwortung kommen) hängt ein Preisschild. Entweder wir gehen in die Opferrolle, lassen es mit uns geschehen, werden im schlimmsten Fall krank und verlieren Energie. Oder wir kommen in die Selbstverantwortung und müssen uns mit uns selbst auseinandersetzen. Das kann schmerzlich und streng sein, weshalb wir uns immer überlegen sollten, ob wir die richtigen Instrumente zur Hand haben, um es anzugehen oder ob wir Unterstützung, allenfalls in Form eines Coachings benötigen. Es lohnt sich in einem ersten Schritt die drei Möglichkeiten fundiert anzuschauen und zu bewerten – love it, change it oder leave it. Schliesslich stellt sich immer die Frage: sind wir bereit den Preis zu zahlen?
Sich der Farbpalette bedienen
Wenn Sie sich das nächste Mal dabei erwischen, wie Sie sich langsam der Ohnmacht ergeben, versuchen Sie Ihre Sichtweise zu ändern, um so Ihrem Gedächtnis nicht noch mehr Futter für den Ohnmachtsspeicher zu liefern. Drehen Sie den Spiess um. Sie alleine sind Schöpfer Ihrer Gedanken und Ihres Verhaltens. Sie haben unzählige Möglichkeiten, diese Situation zu beeinflussen – sei es mit Gedanken oder Taten. Sie können immer wieder aufs Neue aus der Farbpalette des Lebens Ihre Wahl treffen und die für Sie richtigen Farbtupfer und Akzente setzen. Genau das bringt Sie weiter und hat nachhaltig einen Impact auf Ihre Denkweise, Ihr Sein und Tun. Denn: