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Boreout – wenn Langeweile krank macht

Wer ken­nt ihn nicht, den Begriff Burnout. Das Aus­bren­nen auf­grund von Stress und Über­las­tung am Arbeit­splatz und in anderen Lebens­bere­ichen ist ein ständi­ges The­ma in unser­er Arbeitswelt. Die gesamte Lebens­bi­lanz gerät ins Schwanken, die Betrof­fe­nen rud­ern solange, bis irgend­wann gar nichts mehr geht und sie «aus­ge­bran­nt» sind. Und dann gibt es noch das Bore­out. Irrtüm­licher­weise wird dieses oft­mals als Gegen­teil des Burnouts ange­se­hen. Vor allem auf­grund der Symp­to­matik ist eine solche Betra­ch­tungsweise jedoch zu ein­fach gefasst.

Nicht nur Über­forderung am Arbeit­splatz kann Betrof­fene krank machen. Auch Unter­forderung, Langeweile sowie Desin­ter­esse sind krankmachende Treiber, welche schlussendlich zu einem Bore­out führen kön­nen. Burnout und Bore­out haben gemein­sam, dass sie bis heute wed­er medi­zinisch diag­nos­tiziert noch richtig definiert sind und nicht einge­gren­zt wer­den kön­nen – sie gel­ten dem­nach offiziell nicht als Krankheit, son­dern als gesund­heits­beein­trächti­gende Fak­toren. Aus diesem Grund sind bei­de Phänomene noch wenig wis­senschaftlich erforscht und klare Zahlen­grund­la­gen fehlen. Worin sich die bei­den unter­schei­den? Burnout-Betrof­fene sind gestresst, Bore­out-Betrof­fene tun nur so. Beim Bore­out kon­nte über die let­zten Jahre fest­gestellt wer­den, dass vorder­gründig Büro­jobs betrof­fen sind. Ein Schrein­er kann nicht gut vortäuschen, dass er Möbel schrein­ert – wenn am Ende des Tages nichts sicht­bar ist, fällt es auf. Bei Arbeit­en am PC kann dage­gen bess­er geschum­melt wer­den. Flüge für die näch­ste Reise suchen, ein Such-Abo für eine neue Traum­woh­nung erstellen oder Klei­der shop­pen – Beschäf­ti­gung gibt es nur schon im Inter­net haufen­weise. Doch dann baut sich immer mehr Druck auf. Druck, um die vorhan­dene Langeweile, das Desin­ter­esse oder die Unter­forderung zu ver­tuschen – die müh­selig mit unter­schiedlichen Ver­hal­tensstrate­gien überdeckt wer­den. Diese aufwändi­ge und über lange Zeit dauernde Ver­heim­lichung führt zu Erschöp­fung, welche Betrof­fene dann schlussendlich daran hin­dert, etwas an der aktuell unzufrieden­stel­len­den Sit­u­a­tion zu ändern.

Verhaltensstrategien Betroffener

Gemäss Roth­lin und Werder (2014) schlit­tern gefährdete Mitar­bei­t­ende langsam und nicht von heute auf mor­gen in ein Bore­out. Sie merken irgend­wann, dass etwas nicht stimmt. Ab diesem Zeit­punkt fühlen sie sich unzufrieden und ver­lieren ihre Moti­va­tion. Dies führt dazu, dass sie begin­nen vorzutäuschen, sie wür­den arbeit­en. Es gibt neun ver­schiedene Strate­gien, die Betrof­fene anwen­den, um ihr Bore­out zu verbergen:

  • Kom­prim­ierungsstrate­gie: die Auf­gabe so rasch wie möglich erledi­gen und die Dead­line unter­schre­it­en, um dann die freie Zeit zu nutzen.
  • Flach­walzs­trate­gie: die Arbeit wird auf eine viel län­gere Zeit verteilt als für deren Erfül­lung eigentlich nötig wäre.
  • Strate­gis­che Ver­hin­derung: die Aus­führung der Arbeit gezielt so pla­nen, dass diese auf­grund gegeben­er Umstände gar nicht real­isiert wer­den kann.
  • Aktenkof­fer­strate­gie: Argu­men­ta­tion, dass Arbeit wegen zu viel Stress liegen­blieb, um am Abend Zuhause zu arbeit­en. Dies zeigt eine hohe Aus­las­tung sowie Wichtigkeit der Arbeit.
  • Kollek­tiv-Zwang-Strate­gie: im Unternehmen beste­ht ein unaus­ge­sproch­en­er, aber gelebter Kon­sens darüber, möglichst nicht zu viel und nicht zu schnell zu arbeit­en. Mitar­bei­t­ende passen sich diesem Kollek­tiv an.
  • Der kleine und der grosse Müller: auswär­tige Sitzun­gen wer­den so geplant, dass sich eine Rück­kehr ins Büro nicht mehr lohnt. Wichtigkeit und Stress wer­den sig­nal­isiert und gle­ichzeit­ig wird eine Möglichkeit geboten, die Präsenz im Büro zu reduzieren.
  • Spam-Strate­gie: Statt kurz, klar und knapp zu kom­mu­nizieren, wer­den wortre­iche Abhand­lun­gen geliefert, die Fleiss und Aus­las­tung suggerieren.
  • «I don’t give a shit »-Strate­gie : dies ist eine Protest­strate­gie und ein überdeut­lich­er Hin­weis auf die unbe­friedi­gende Arbeitssi­t­u­a­tion. Auf jede Ver­schleierung des Nicht-Arbeit­ens wird verzichtet.

 

Typische Anzeichen und Symptome

Wie kann man erken­nen, dass jemand Aus­las­tung und hohe Beschäf­ti­gung nur vortäuscht? Meist ist dies gar nicht so ein­fach. Bore­out-Betrof­fene erledi­gen viele pri­vate Dinge während der Arbeit­szeit, denn sie fühlen sich in ihrem Job gelang­weilt oder unter­fordert. Sie täuschen vor zu arbeit­en, obwohl sie in Wirk­lichkeit nichts zu tun haben. Den­noch sind sie am Abend erschöpft und müde – weil sie die Langeweile über­spie­len müssen. Sie sind nicht glück­lich mit der Arbeit, sehen den Sinn sowie die tief­ere Bedeu­tung ihrer Tätigkeit nicht oder find­en ihren Job schlichtweg unin­ter­es­sant. Fragestel­lun­gen des Unternehmens sind ihnen egal und ausser­halb der Arbeit­szeit ver­brin­gen sie keine Zeit damit, über Lösun­gen für Prob­leme des Unternehmens nachzu­denken. Die Betrof­fe­nen kön­nten ihre Tasks in viel kürz­er­er Zeit erledi­gen – auf­grund von Scham, anderen Beweg­grün­den oder Ver­hal­tensstrate­gien benöti­gen sie jedoch viel länger dafür. Und dann begin­nt der Teufel­skreis: Wenn Betrof­fene den Zus­tand der Unter­forderung am Arbeit­splatz lange aushal­ten, ste­hen sie irgend­wann vor dem Dilem­ma, dass sie dies nicht mehr the­ma­tisieren kön­nen, ohne den eige­nen Arbeit­splatz zu gefährden oder als faul abgestem­pelt zu wer­den. Ger­ade in Zeit­en, in denen Jobs abge­baut wer­den, führt dies unter anderem auch zur grotesken Sit­u­a­tion, dass Mitar­bei­t­ende abends möglichst lange im Büro bleiben, um ihren Job zu rechtfertigen.

Symp­to­ma­tisch gle­icht das Bore­out dem bekan­nten Burnout: Niedergeschla­gen­heit, Müdigkeit, Gereiztheit, Lust­losigkeit und Intro­vertiertheit, Depres­sio­nen, Antriebs- und Schlaflosigkeit, erhöhte Anfäl­ligkeit für Infek­tio­nen, Magenbeschw­er­den, Kopf­schmerzen oder Schwindel­ge­fühl. Dass die erlebte Erschöp­fung durch Langeweile aus­gelöst wird, ist Betrof­fe­nen dabei oft nicht bewusst, oder sie geben es ungern zu. Wer ein Burnout hat, legt sich für die Arbeit ins Zeug und leis­tet zu viel. Stress ist sozial erwün­scht, da er sig­nal­isiert, dass jemand wichtig ist und gebraucht wird. Ein Bore­out hinge­gen wird schnell mit Faul­heit assozi­iert – zu Unrecht. Denn Betrof­fene wollen arbeit­en, sie wer­den aber zwangsweise faul gemacht.

Verbreitete Ursachen

Nicht sel­ten sind Stel­lenauss­chrei­bun­gen voll­gepackt mit Anforderun­gen. Ist man dann im Beruf­sall­t­ag angekom­men, sieht die Real­ität teil­weise ganz anders aus und einige oder gar viele der geforderten Qual­i­fika­tio­nen wer­den für die Aus­führung des Jobs nicht benötigt. Stimmt der Auf­gaben­bere­ich über län­gere Zeit nicht mit den Qual­i­fika­tio­nen eines Arbeit­nehmers übere­in, ist dieser unter­fordert und lang­weilt sich zwangsläu­fig. Andere Ursachen für ein Bore­out sind monot­o­ne, ein­seit­ige und anspruch­slose Arbeit­en oder wenn es schlichtweg men­gen­mäs­sig zu wenig zu tun gibt. Ein in der heuti­gen Zeit vor allem bei jun­gen Per­so­n­en beobachtetes Phänomen ist, dass einige erst nach Abschluss ihrer Aus­bil­dung merken, dass ihnen das, was sie inter­essiert hat, in der Prax­is nicht gefällt. Das frus­tri­ert und kann zu Unter­forderung, Desin­ter­esse und Langeweile führen. Weit­er kann beispiel­sweise auch eine Reor­gan­i­sa­tion oder Umstruk­turierung bei Mitar­bei­t­en­den ein Bore­out aus­lösen. Durch solche Verän­derung­sprozesse gestal­tet sich oft­mals auch das Auf­gabenge­bi­et von Mitar­bei­t­en­den teil­weise oder kom­plett anders. Es kann deshalb passieren, dass die neuen Auf­gaben nur wenig oder gar nicht zu den Qual­i­fika­tio­nen des Mitar­bei­t­en­den passen. Eine weit­ere Ursache liegt oft­mals auch bei falsch­er Führung. Wenn Vorge­set­zte nicht abgeben kön­nen, alles sel­ber erledi­gen und die Mitar­bei­t­en­den dann zu wenig Arbeit haben oder nur unin­ter­es­sante Tätigkeit­en aus­führen, kommt auch hier schnell mal Frust und Langeweile auf.

Empfehlungen zum Umgang

Ohne einen aktiv­en Push von aussen ist es für Betrof­fene eines Bore­outs oft­mals schwierig, selb­st wieder aus der Spi­rale rauszukom­men. Die Art ein­er allfäl­li­gen Behand­lung wird jew­eils indi­vidu­ell auf die Betrof­fe­nen zugeschnit­ten. An erster Stelle müssen sie erken­nen, dass ihre Ver­schleierungsstrate­gien den Stress zusät­zlich erhöhen. Sie soll­ten sich bewusst eine Auszeit nehmen und mit­tels Coach­ing oder Psy­chother­a­pie Hil­fe holen. Dort kön­nen dann die weit­eren Schritte fest­gelegt und Entspan­nungs- sowie Stress­man­age­ment­tech­niken erlernt werden.

Damit es gar nicht erst soweit kommt braucht es jedoch Anstren­gun­gen auf Arbeit­ge­ber- und Arbeit­nehmer­seite. Vorge­set­zte soll­ten ein­er­seits erken­nen, wenn Mitar­bei­t­ende unzufrieden sind. Bei der Ein­stel­lung wer­den Erwartun­gen geweckt, die auf­grund der Für­sorgepflicht erfüllt wer­den müssen. Regelmäs­sige Gespräche und Stan­dortbes­tim­mungen kön­nen zudem dabei helfen, Unzufrieden­heit der Mitar­bei­t­en­den frühzeit­ig zu erken­nen. Ander­er­seits sind auch die Mitar­bei­t­en­den in der Pflicht. Um einem Bore­out vorzubeu­gen, ist Eigen­ver­ant­wor­tung wichtig. Bei Unzufrieden­heit soll­ten sie das Gespräch suchen. Dies ist nicht nötig, wenn es sich um eine kurze Phase der Langeweile han­delt. Wenn aber kein Ende abse­hbar ist, sich die Langeweile hin zu ein­er unerträglichen Ewigkeit von Leere entwick­elt, dann sind Betrof­fene ein­fach irgend­wann aus­ge­lang­weilt. Spätestens dann müssen sie die Prob­lematik offen und ehrlich ansprechen.

Unser Tipp

Wir rat­en Ihnen, sich immer wieder zu hin­ter­fra­gen, ob das was Sie tun oder tun wollen, Sie auch wirk­lich inter­essiert. Wenn Sie eine Beschäf­ti­gung haben, bei der Sie den Sinn ver­mis­sen, suchen Sie zuerst danach, bevor Sie das Unternehmen frus­tri­ert ver­lassen. Sind Sie ein­fach am falschen Ort oder tun Sie grund­sät­zlich das Falsche? Bei Let­zterem nützt Ihnen ein Wech­sel wenig bis nichts und es wäre sin­nvoll, sich Gedanken darüber zu machen, ob Sie in Ihrer beru­flichen Lauf­bahn grundle­gend etwas ändern soll­ten. Haben Sie den Mut, in der Arbeit Erfül­lung und Sinn zu fordern und sich selb­st aktiv dafür einzuset­zen. Denn dann han­deln Sie aus Eigen­ver­ant­wor­tung. Wir soll­ten ler­nen gesellschaftliche Wer­tun­gen kri­tisch zu hin­ter­fra­gen und für uns indi­vidu­ell zu prüfen, was uns Freude bere­it­et und welche Tätigkeit­en für uns sin­nvoll sind.

Ver­wen­dete Quellen: